Detlef Welker: Ein Wachshamster zwischen den Zeiten

Detlef Welker: Ein Wachshamster zwischen den Zeiten

Rezension von Oliver Guntner

KULTURKOLORIST

Detlef Welker: Ein Wachshamster zwischen den Zeiten

In seiner Anthologie „Ein Wachshamster zwischen den Zeiten und andere unwahrscheinliche Abenteuer“ lädt uns Detlef Welker auf eine Etappenreise ein, in welcher der Autor ebenso humorvolle wie emotionale Begegnungen tiefsinnig verpackt.

 

Der Titel bekräftigt dabei den inhaltlichen und stilistischen Bau der Blütenlese: Namentlicher Wachshamster ist einer der liebenswerten Charaktere im Zyklus „Die Reisen des Felix Bache“, eine Anlehnung an Stanislav Lems „Sternentagebücher“. Der Autor bietet hier manch unterhaltsame Alternative zu den Handlungen und Gefahren, welche Lems Raumfahrer Ijon Tichy widerfahren sind. Eine Hommage richtet der Autor auch an Terry Prachett, verwendet er doch in den vier Reisen die Fußnote ebenso gern zur ausführlichen Charakterisierung.

In den nachfolgenden acht Geschichten überzeugt Herr Welker durch Wort- und Situationskomik wie auch durch hautnahe Schilderungen bei inneren und äußeren Perspektivwechsel. Manche Geschichten lassen uns bekümmert, ehrfürchtig oder fassungslos zurück – was die akribische Planung und die abgestimmte Funktionalität der Wörter in den Texten verursacht.

 

Künstlerisch ist das Buch durch mehr als zehn Illustrationen und Vignetten des Autors aufgelockert. In wenigen Fällen – besonders in den vier Reisen – verliert der Leser kurzzeitig den Faden aufgrund der Perspektive und Zeitwechsel. Wahrscheinlich würde der Autor hierzu versöhnlich betonen, dass sich der Wachshamster ja auch zwischen den Zeiten bewegt (oder dies in einer Fußnote anmerken). Davon abgesehen ist die Sprache an den Stellen klar und treffend, wo nicht mit ihr gespielt wird.

 

Fazit: Herr Welker legt uns mit seiner Anthologie ein literarisches Potpourri vor, welches in uns schelmische Begeisterung und eine Überdosis Kurzweile hervorruft.

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Adriane Meinhardt: In vitro Veronica

Adriane Meinhardt: In vitro Veronica

Rezension von Oliver Guntner

KULTURKOLORIST

Adriane Meinhardt: In vitro Veronica

Erfrischend frech präsentiert Frau Meinhardt ihr satirischen Debüt, eine Sammlung von Kurzgeschichten, Reise(vorbereitungs)berichten oder wahrlich merkwürdigen Gedankenspielen. Die Autorin unterhält uns mit 21 Beiträgen, denen nur eines gemeinsam ist: Ein wiederkehrender Tenor reich an Witz, abgeschmeckt mit einer Spur Sarkasmus.

 

Sei es der nicht ganz nach Sitte ablaufende Singkreis in einer Gruppe Demenzkranker, der intellektuelle Hochgenuss eines Wagner-Festspiels oder das alltägliche Ausfüllen eines Fragebogens in einer Zeitschrift der Regenbogen-Presse – Frau Meinhardt gibt der Situation immer zwinkernd eine unerwartete Richtung.

 

Sie spielt mit Klischees ebenso wie mit regionalen Absonderlichkeiten, referenziert die Popkultur ebenso treffsicher wie sie subtil der Politik eine Grenze zieht. Ihre Geschichten gewinnen durch eine Realität, die sich durch eine authentisch schreibende und uns mitfühlen lassende Autorin aufbaut.

 

Auch wenn der Titel der Sammlung „In vitro Veronica“ der ersten Geschichte zuzuordnen ist, erinnert er nach der Lektüre etwas an das Amen in der Kirche. Vielleicht liegt es daran, dass man vorher nicht glaubt, Satire könnte auch ohne den modernen (politischen) Informationsauftrag auskommen, den viele heute bei ihr sehen. Frau Meinhardt zeigt, dass es in allen Lebenslagen genug Möglichkeiten gibt, über die wir uns amüsieren dürfen.

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Kwame Anthony Appiah: Identäten. Die Fiktion der Zugehörigkeit

Kwame Anthony Appiah: Identäten. Die Fiktion der Zugehörigkeit

Rezension von Oliver Guntner

KULTURKOLORIST

Kwame Anthony Appiah: Identäten. Die Fiktion der Zugehörigkeit

Betrachtet man die eigene Persönlichkeitsentwicklung, stellt sich unvermeidlich und immerwährend die Frage: “Wer bzw. was bin ich?” Gehen wir nicht auf die semantische Klärung der beiden Fragewörter ein, sondern halten wir ein mögliches Antwortspektrum vor Augen: Große Schwester. Sudetendeutsche. Asexuell. Bürgerlich. Sachbearbeiterin. Weiß. Alleinerziehend. Vegetarierin. Mitte 40. Buddhistin. (Mensch?)

 

Unschwer zu erkennen und rational verständlich, dass wir die Eingangsfrage in Kategorien beantworten und in eben diesen auch denken. Kwame Anthony Appiah hat in seinem Buch dieses Kategoriedenken essayistisch untersucht und für die Leserschaft anschaulich und lebensnahe dargelegt. Die Hauptforderung des Philosophen lautet, die Kategorien, denen unser Denken und Fühlen anhaftet, neu zu gestalten. Sie seien überholt, da sie sich auf gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Zustände stützen, deren Mechanismen zur heutigen Zeit nicht mehr greifen.

 

Der Autor betont dabei, dass die Kategorien als solche nicht abgeschafft werden sollen; sie können es gar nicht. Er illustriert – oft auch an der eigenen Person – das dem Ich identitäre Zuweisungen auch durch gruppendynamische Effekte von außen zugeteilt werden. Die Ursprünge dieses Schubladendenkens und des Zugehörigkeitsgefühls zeigt Appiah kulturhistorisch kurzweilig an unterschiedlichen, um den ganzen Globus verteilten Beispielen auf.

 

Die Quintessenz seiner Überlegungen ist keine bahnbrechende Neuheit, sondern fällt auf gesunden und rationalen Menschenverstand und humanistisches Empfinden zurück. Doch in einer Zeit, in der die eigene Umwelt mehr und mehr davon geprägt wird, dass es wichtiger ist, Recht zu behalten als Recht zu haben, ist eine klare, sachliche, logische und fundierte Herleitung und Auseinandersetzung einer Thematik solide Basis für Diskussionen. Diesen Diskussionen muss die Kraft innewohnen, Dogmen, Meinungsmache und Propaganda zu widerstehen, um die gesellschaftliche Entwicklung auf einen – philosophisch betrachtet – guten Weg zu bringen.

 

Der Autor seziert förmlich in sechs großen Kapiteln die Kategorisierungen des Geschlechtes, der Religion, der Nation, der Hautfarbe, der Klasse und der Kultur. Im 7. Kapitel fasst er seine Ausführungen zusammen und zeigt nochmals die Verflechtungsdynamiken dieser Identitäten miteinander auf. Er plädiert schließlich relativ offen für den kosmopolitischen Bürger, welcher sich beispielsweise nicht an die Auslegung heiliger Schriften klammert, sondern seine Religion in praktischem Handeln lebt. Er lebt nicht in Nationen, sondern gehört einer Zivilisation an, und versteht die kulturelle Vielfalt als großes, organisches Ganzes.

 

Die Identitäten, die wir für unser Zusammenleben benötigen, sind dem Wandel unterlegen. Nur durch Veränderungen können wir sie bewahren. Sie sind notwendig, um uns selbst in eine soziale Struktur einzuordnen und begegnen uns auf kleiner, persönlicher Ebene (bspw. in der gesellschaftlichen Stellung unserer Freunde, Partner, Arbeitskollegen) wie auch auf großer, weltpolitischer Bühne (bspw. der Argumentationsbegriff des “Westens”). Da sie durch eine objektive und subjektive Komponente “geschaffen” werden, liegt es in unserer Hand, diese identitätsstiftenden Kategorien zu definieren. Praktisches Handeln gibt also Antwort auf die Eingangsfrage “Wer bzw. was bin ich?”

 

(Mensch!)

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Jochen Gartz: Chemische Kampfstoffe

Jochen Gartz: Chemische Kampfstoffe

Rezension von Oliver Guntner

KULTURKOLORIST

Jochen Gartz: Chemische Kampfstoffe

In keinem anderen Sachbuch wird die Entwicklung und der Einsatz chemischer Kampfstoffe so umfassend dargestellt wie in Jochen Gartz‘ Untersuchung. Der Autor beweist mit der Wahl der zahlreichen Abbildungen und gewählten Zitate Sachverstand, Weitblick und Einfühlungsvermögen in die komplexe Themenwelt, die er historisch vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur Neuzeit vorstellt. Dabei führt er den Leser kurz in die Ausgangszustände der unterschiedlichen Stoffklassen ein und führt ihn chronologisch durch die technische Evolution der Kampfstoffe. Die Veränderungen erläutert er anschaulich durch den Wandel der politischen, wirtschaftlichen und soziokulturellen Umstände und macht damit deutlich, dass der Kampfstoff im Krieg eine nicht zu unterschätzende Rückkopplung mit den Staats- und Militärapparaten der ihn einsetzenden Konfliktparteien schafft.

 

Deutlich erklärt der Autor z.B. den Aufstieg der chemischen Industrie in Deutschland, die durch die Notwendigkeit neuer Kriegswaffen das militärische und zivile Leben nachträglich verändern sollte. Er zeigt die Zwiespältigkeit bedeutender Chemiker, deren Entdeckungen ihnen einerseits Nobelpreise, andererseits eine Teilschuld am Tod von Millionen Soldaten eingebracht haben. Dabei bleibt sein Ton meist so sachlich, dass man z.B. die Studien Heinrich Wielands, Walther Hermann Nernsts oder Adolf von Baeyers würdigen, den Einsatz der Früchte ihrer Arbeit jedoch zutiefst ächten muss.

 

„Chemische Kampfstoffe“ bietet eine Fülle an Hintergrundwissen. Man muss kein Naturwissenschaftler sein, um den Ausführungen Gartz‘ zu folgen. Stellenweise wünscht man sich eine noch detaillierte Ausführung, die vom Autor, der selbst im Bereich der Toxikologie tätig war, scheinbar als redundant gesehen wird. Dennoch schlägt Gartz‘ Werk die Brücke zwischen Front und Etappe und hilft so, einen vielschichtigen Blick auf den Kriegsverlauf zu führen, sei er in Europa, in Vietnam oder im Zuge des „neuzeitlichen Terrorismus“ geführt worden.

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Jochen Gartz: Vom griechischen Feuer zum Dynamit. Eine Kulturgeschichte der Explosivstoffe

Jochen Gartz: Vom griechischen Feuer zum Dynamit. Eine Kulturgeschichte der Explosivstoffe

Rezension von Oliver Guntner

KULTURKOLORIST

Jochen Gartz: Vom griechischen Feuer zum Dynamit. Eine Kulturgeschichte der Explosivstoffe

In Jochen Gartz‘ Buch „Vom griechischen Feuer zum Dynamit. Eine Kulturgeschichte der Explosivstoffe“ zeichnet der Autor sachgerecht und detailgetreu den Werdegang der militärischen und zivilen Sprengkörper nach. Seine Ausführungen beginnen in der Antike und reichen bis zur heutigen Zeit. Reich an Bildern, Zitaten und Auszügen aus historischen Dokumenten untermauert Gartz die unterschiedlichen Entwicklungen der Technologie, durch welche mehrmals die Weltgeschichte nachhaltig beeinflusst wurde.

 

Präzise und nachdrücklich legt der Autor dar, welche Verhältnisse vor der „Entdeckung“ des Schwarzpulvers geherrscht hatten, beschreibt die notwendige Ressource des Salpeters als Quintessenz der Sprengwirkung und erläutert dem Leser damit die Dominanz des Byzantinischen Reiches sowie die frühe Entwicklung der Raketen. Besonders viel Wert legt der Autor auf die Verknüpfung von Militärgeschichte und wirtschaftlicher Entwicklung, die er z.B. an den Berufen des Büchsenmachers und des Saliters nahe bringt. Auch seine These, die Verwendung von Schießpulver habe das Ende des Mittelalters und des Feudalwesens eingeläutet, begründet er anschaulich.

 

Neben den militärischen Entwicklungen geht der Autor ebenfalls auf die zivilen Nutzungen der Pyrotechnik ein und lässt seine Abhandlung nach dem Siegeszug der Feuerwaffen über Nobels Initialzündungen und einer Stellungnahme zu neuzeitlichen Bombenanschlägen zu einem kurzen Resümee kommen. Die Detailtiefe und das ausgezeichnete Begleitmaterial machen dieses Sachbuch zu einem Wissensfundus für alle an der Pyrotechnik Interessierte.

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