Matthias Matussek – Armageddon

Matthias Matussek – Armageddon

Rezension von Oliver Guntner

KULTURKOLORIST

Buchcover: Matthias Mattusek "Armageddon"

Rezension: Mattias Matussek „Armageddon“ – die Antwort auf den modernen Todeskult lautet weiterhin Glauben

Überblick über Handlung und Thema

Matthias Matusseks Roman „Armageddon“, erschienen 2023 im Europa Verlag, behandelt Erlebnisse und Begegnungen eines gesellschaftspolitisch verfemten Publizisten, welcher nach einer indirekten Morddrohung erneut in Lebensgefahr schwebt. Das Thema des Niedergangs des christlichen Glaubens und der in ihm eingebetteten Tugenden und Werte wurde dabei hintergründig und feinfühlig in diesen Thriller eingewoben.

Die Handlung setzt in den frühen 20er Jahren ein. Richard „Rico“ Hausmann war einst Übersee-Korrespondent, Spiegel-Kulturchef, Redakteur bei Die Welt – doch nach und nach kam er in den Augen der Gesellschaft „vom Weg ab“. Mittlerweile wird er bestenfalls als störrischer Rechtskonservativer angesehen; Mitglieder der Antifa betiteln ihn schlichtweg als „Nazi“. Hausmann, der sich in den ländlichen Raum zurückgezogen hat, stößt mit einem willfährigen Knecht der „grünen Junta“, wie er das derzeitige Establishment in Deutschland betitelt, zusammen und bangt nun um seine Sicherheit. Während er in Erinnerung sinnierend anhand seiner Bekanntschaften zu den großen Medienmachern und ehemaligen Arbeitskollegen den allgemeinen Werteverfall der Republik diagnostiziert, mehren sich die Anzeichen dafür, dass der Tag des jüngsten Gerichts näher rückt. Der Tod der Welt, der Tod der Gesellschaft, der Tod des Individuums – sie scheinen ein von der Massen zelebriertes Sehnen geworden zu sein – und Hausmann wird bewusst, wie allein und sterblich er diesem Kult gegenübersteht.

Matussek hat seinen Roman in drei Teile gegliedert und damit eine Art literarisches Triptychon geschaffen. Während der erste Teil die Figur des Rico Hausmann dem Leser näher bringt, thematisiert der zweite das Potential des Lebens mittels kulturellen Errungenschaften, ohne den Tod als Erlösung auszusparen. Der dritte Teil schließt mit dem titelgebenden „Armageddon“. Der Aufbau kann auch als klassischer Dreiakter gesehen werden, wobei der zweite Teil den Höhepunkt als eigentliche Entscheidungsschlacht beinhaltet.

Stil und Wirkung

„Armageddon“ ist ein Roman mit einer besonderen Hauptcharakter. Der Autor hat autobiografische Erlebnisse und reale Ereignisse verarbeitet und sich als Alter Ego zum Protagonisten der Geschichte gemacht. Damit hat die Figur des Rico Hausmann nicht nur ein brillantes Kulturgedächtnis geerbt: Der „gefallene“ Star-Redakteur poltert im ersten Buchabschnitt mit Hochgeschwindigkeit durch Erinnerungen an Ereignisse und Weggefährten; ein Potpourri an Namen und Informationen, übervoll und leider etwas abschreckend für alle Leser, die nicht die Geflechte und Geschehnisse der Medienbranche kennen. Aber dem Autor geht es vor allem um Wahrhaftigkeit. Daher mag die Lesbarkeit des Romans an dieser Stelle zwar etwas zurückstecken; er gewinnt aber durch einen einfühlsamen und menschlichen Hauptcharakter an Authentizität. Dieser erste Teil ist zudem wichtig, um die Figur Hausmann auf die angemessene Fallhöhe zu heben, aus welcher er die moderne Welt sieht, ihre Veränderung bewertet und den Kampf dagegen aufnimmt.

Das Erzähltempo verlangsamt sich zum Ende des ersten Teils und hält diese Geschwindigkeit in den anderen beiden Abschnitten bei – hier geschieht es auch, dass die Erzählstimme noch einfühlsamer wird und auch Raum bekommt, ihre geistreichen Qualitäten zu zeigen, so z. B. wenn über das Wesen der Lüge doziert wird.

Stilistisch ist Matussek sattelfest. In den kurz gehaltenen Kapiteln verlängert er beispielsweise beim Wechsel in den Erzählstrang der Antagonisten jederzeit pointiert die Spannungskurve. Die auftretenden Gegenspieler sind dabei ebenso komplex wie das Leben und stehen mit ihrer politischen oder philosophischen Verortung für andere, ebenso berechtigte Lebensentwürfe.
Die im Hintergrund alles zusammenhaltende Frage der Religiosität äußert sich, wie das wiederkehrende Motiv des Todes, in Metaphern und Andeutungen. So beschreibt Matussek schon zu Beginn in der einsamen Landschaft Norddeutschland das schwarze Skelett der Eichen und Buchen. Durch den Mund seiner Figur schöpft er zudem aus seinem kulturellen Fundus: „Literatur, Musik, Religion“ ist der gängigste Dreiklang, welcher, raffiniert kombiniert, zu Hausmanns vernichtenden Urteilen avanciert: „Aber Jack Kerouac, dem Katholiken und Buddhisten, ging es um die Wahrheit der Beatgeneration, nackt bis auf die Knochen, hier in Stuckrad-Barres Zeilen dagegen roch man nichts als Gegrinse und Gucci, hier sah Rico all diese rhetorischen und optischen Manöver der Ausrufezeichen und Großbuchstaben im Dienst eines Großverrats, es war, als hätte Judas Kerouacs Schreibmaschine übernommen.“

Gegen Ende des Buches fallen kleinere Tippfehler auf, mal wird ein Name falsch verwendet. Das sind Patzer, die ärgerlich sind und dem Lektorat hätten auffallen müssen, sie beeinträchtigen aber nicht die Botschaft und Wirkmächtigkeit der Romanidee, die Lebensbejahung und die Beziehung zu Gott. Denn nur in Beziehung mit anderen Menschen (Lebenden wie auch Toten) formt, festigt und besteht ein Charakter.

Fazit: Für wen lohnt sich der Roman?

In „Armageddon“ ziseliert Mattusek durch inneren Monolog seine beruflichen Wegbegleiter, jeder in einer Art kleinen Revuenummer. Dieser anfangs träge Handlungsaufbau kann zuerst abschrecken, entwickelt aber die Hauptfigur und ordnet sie in ein politisches, soziales und gesellschaftliches Umfeld ein. Danach lässt man sich auf die Erzählung ein, schaut, wohin sich die mitunter nur lose verknüpften Ereignisse entwickeln und zu welchem Gesamtbild sie sich formen. Auch ohne in die inhaltliche Tiefe jeder kulturellen Referenz zu gehen, findet der durchschnittliche Leser immer eine Stelle, an welcher er in den heiligen Zorn oder die sanfte Herzensgüte Hausmanns seelisch einstimmen kann. Unser Denken wird dabei vitalisiert – und was gäbe es besseres als dies, um dem spirituellen Weltuntergang aufgrund von Gottlosigkeit entgegenzuwirken?

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Giuseppe Gracia „Auslöschung“

Giuseppe Gracia „Auslöschung“

Rezension von Oliver Guntner

KULTURKOLORIST

Buchcover: Giuseppe Gracia "Auslöschung"

Rezension: Giuseppe Gracias „Auslöschung“ – eine tragische Liebesgeschichte bildet das Fundament einer gesellschaftlichen Analyse

Überblick über Handlung und Thema

Giuseppe Gracias Roman „Auslöschung“, erschienen 2024 im Fontis Verlag, ist eine tragische Liebesgeschichte mit tiefgehender Gesellschaftsanalyse. Die Handlung liegt in Form von Erinnerungen vor, welche der namenlose Hauptcharakter schildert bzw. berichtet. Obwohl die Geschichte anscheinend nicht-linear erzählt wird, lässt sie sich wie folgt zusammenfassen:

Der Protagonist ist als Journalist und Schriftsteller tätig. Beruflich publiziert er u. a. zur Beziehung des Islam und des westlichen Europas. Parallel dazu schließt er eine Ehe mit seiner Jugendliebe Veronika. Während der Hauptcharakter sich in den nächsten Jahren beruflich mit politischen Vorwürfen konfrontiert sieht, wird Veronika durch ihr Arbeitspensum allmählich in die Verzweiflung getrieben. Dies endet im Selbstmord auf einem Bahngleis. Der Protagonist kommt über den Verlust nicht hinweg und sucht in seiner Sinnkrise Antworten, z. T. in der christlichen Religion. Eines Tages hält er sich auf einer Abendveranstaltung auf, die von islamistischen Terroristen übernommen wird. Die Anklage und Exekution der Gefangen soll live in Fernsehen und Internet übertragen werden. Unter den Geiseln glaubt der Journalist, Veronika wiederzusehen – in seinen Gedanken vermischt sich die Vergangenheit mit der Gegenwart, Erinnerungen mit Sinneseindrücken.

Gracia baut in seinem Roman unterschiedliche Handlungsstränge zusammen: Die Geschehnisse um die Geiselnahme, die berufliche Entwicklung des Hauptcharakters und seine Begegnungen mit der Religion. Leitmotiv und den Roman tragend ist allerdings die Liebesgeschichte, deren Anfänge, Liebesglück, Ehe, Niedergang, Zerrüttung durch den Selbstmord und die Einsamkeit danach auch das Hauptgerüst der Handlung bilden.

Stil und Wirkung

Mit geringer Personalbesetzung erschafft der Autor eine Geschichte, die auf mehreren Ebenen Spiegel vorhält: Von der Frage des eigenen, persönlichen Lebenswertes zur Leistung und Funktionalität einer Gesellschaft, vom Vermögen oder Unvermögen der Religion und dem Zusammentreffen unterschiedlicher Werte und Moralvorstellungen.

Charakteristisch für den Roman sind seine Metaebenen. Durch die Vermengung von Gegenwart und Erinnerung ist weder dem Erzähler noch dem Leser klar, ob gerade eine Traumsequenz, die „reale“ Handlung oder eine Theaterinszenierung Lichtenbergers, Bruder Veronikas und Anlaufstelle des Protagonisten für Ratschläge, abläuft. Dies ist einerseits kunstvoll, da es verdeutlicht, dass das Leben als solches durch Beziehung und Verflechtung nicht vereinzelt betrachtet werden kann, ohne das Gesamtbild zu sehen; anderseits erschwert dieser Umstand eine logisch-schlüssige Handlungschronologie nachzuvollziehen. Letzteres wirkt sich auch auf den Spannungsbogen aus: Spannung und Konfliktpotential sind im Roman enthalten, doch bauen sie sich nicht immer höher und stärker auf, sondern glimmen, entzünden sich und züngeln als kleine Schwelbrände, denen immer wieder aufs Neue begegnet werden muss.

Gracias Sprache ist in den Berichten des Hauptcharakters sehr klar und zumeist schnörkellos. Die Wiedergabe der Ereignisse wirkt, unterstützt durch den reinen Ich-Erzähler, nüchtern, glänzt allerdings an den richtigen Stellen mit hervorragenden Metaphern, z. B. bewundert der Protagonist die Teilnehmer der Abendveranstaltung um „[…] ihre Herrenausstatter-Anzüge ebenso wie die eng anliegende Vulgarität ihrer Seidenkleider.“ Die Sprache ist den Milieus, in welchen der Erzähler verkehrt, angemessen und passt sich situativ an. Dies schöpft der Autor wahrscheinlich auch aus seinem beruflichen Repertoire, da Gracia auch Publizist und Kommunikationsberater ist. Seine Erfahrungen könnte er genutzt haben, um die Charaktere und deren Vorstellungen zu modellieren.

Gracia verwendet außerdem eine starke Symbolik: Der Zug, der Veronika aus dem Leben ist, fährt zerstörerisch weiter, ein drohendes Unheil, rasend, nicht aufzuhalten. Er durchbricht die Schranken der Zeit und der Erzähllogik mit kalter, schweizerischer Pünktlichkeit. Auch der Titel „Auslöschung“ ist präzise und klug gewählt und bezieht sich nicht nur auf die terroristischen Motive, das System des Westens zu vernichten, sondern auch auf den Selbstmord Veronikas und die Fixpunkte, welche jeder einzelne in der Geschichte, sei sie noch so klein, hinterlässt.

Ein absurder Höhepunkt ist die Situation der Live-Übertragung der Geiselnahme, der Anklage und Exekution. Terroristen und Opfer werden gefilmt, stehen im (Bühnen)Licht der Aufmerksamkeit eines weltweiten Internetpublikums – alle sind Betrachter und Beobachter zugleich, niemand handelt. Dies ist womöglich die Stelle, in welcher sich der wahre Antagonist – das Böse im Menschen – offenbart. Dies würde auch zum fragmentarischen Wesenszug des Romans passen.

Fazit: Für wen lohnt sich der Roman?

Zusammenfassend bewertet der Rezensent den Roman als eine kunstvoll verwobene, tragische Liebesgeschichte, welche zeigt, wie sehr das Individuum durch gesellschaftliche Erwartungen, kulturelle Vorstellungen und religiöse Überzeugung, aber auch deren Heilsuchung, beeinflusst wird und fortwährend seinen Platz suchen muss. Wer gewöhnliche Unterhaltung möchte, sollte sich anderen Büchern zuwenden. „Auslöschung“ bietet eine ungewöhnliche Erzählweise und viele Interpretationsmöglichkeiten (z. B. die durchaus ambivalente Rolle Lichtenbergers), auf die man sich einlassen können muss. Wer, wie Theatermensch Lichtenberger es gern sehen würde, nach „[…] dem Schlussvorhang nicht einfach klatschen und unbehelligt nach Hause gehen kann, sondern vor dem Kopf gestoßen […]“ sein möchte, sprich, über das Gelesene nachdenken und reflektieren möchte, dem sei diese Lektüre empfohlen.

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