Horst-Eberhard Richter: Flüchten oder Standhalten
Der namenhafte Arzt und Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter stellt in seinem Werk „Flüchten oder Standhalten“ einige zentrale Aspekte menschlicher Verhaltensweisen dar. Allen voran beschreibt er beispielhaft, mit welcher Ursache und Wirkung Isolationsprozesse stattfinden und Ängste im Individuum geschürt werden. Sein Werk dient ebenso als Informationsquelle wie als Anleitung, eigenen oder fremden Sehnsüchten nach sozialer Teilhabe zu entdecken, zu verstehen und zu akzeptieren.
In 14 Kapiteln veranschaulicht er die Entstehung von vornehmlicher Isolationsangst, beginnend beim Individuum bzw. der Familie und beschreibt, in welchen Formen diese Angst von einer Person zur anderen weitergegeben wird. Diese Transfermechaniken weitet er später auf übergeordnete Machtpositionen aus; auf Vorgesetzte oder Autoritäten bzw. stellvertretende Institutionen. Ferner diskutiert und reflektiert der Autor, inwieweit der Mensch als Interessenobjekt sozialer Berufe, z.B. im Pflegedienst, der Seelsorge oder dem Schulwesen, aus dem Fokus der Arbeitstätigen gerückt wird, falls bürokratische Prozesse von oben bzw. dogmatische Machtstrukturen greifen.
Das Buch ist stringent geschrieben und verfolgt eine logische Argumentationskette. Die beispielhaften Erläuterungen heben den sonst eher wissenschaftlich ausführenden Stil auf ein verständliches Niveau. Obwohl sich den Themen oft psychoanalytisch genährt wird und wissenschaftliche Referenzen die Hypothesen stützen, ist das vorliegende Werk für alle mit gut ausgeprägtem Allgemeinwissen (S. Freuds Theorie des Über-Ichs sollte bekannt sein) zugänglich. Leider hat das Lektorat eine ganze Reihe von Rechtschreibfehlern übersehen, die bei einem solch qualitativ hochwertigen Autor und Produkt nicht entschuldbar sind.
Im Ganzen kann der Rezensent allen Leuten, die in sozialen Berufen tätig sind, die Lektüre empfehlen. Sie dient dazu, sich darüber klar zu werden, warum man die Arbeit mit und am Mensch gewählt hat; hilft in unsicheren Zeiten, sich auf diese Motivation zurückzubesinnen – und zeigt die Möglichkeit, basisnahe, übergreifende Arbeit durchzuführen. Wir sollten uns immer wieder vergegenwärtigen, dass echte Partizipation für ein menschenwürdiges Zusammenleben auf allen Ebenen angestrebt werden muss.