Jochen Gartz: Chemische Kampfstoffe
In keinem anderen Sachbuch wird die Entwicklung und der Einsatz chemischer Kampfstoffe so umfassend dargestellt wie in Jochen Gartz‘ Untersuchung. Der Autor beweist mit der Wahl der zahlreichen Abbildungen und gewählten Zitate Sachverstand, Weitblick und Einfühlungsvermögen in die komplexe Themenwelt, die er historisch vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur Neuzeit vorstellt. Dabei führt er den Leser kurz in die Ausgangszustände der unterschiedlichen Stoffklassen ein und führt ihn chronologisch durch die technische Evolution der Kampfstoffe. Die Veränderungen erläutert er anschaulich durch den Wandel der politischen, wirtschaftlichen und soziokulturellen Umstände und macht damit deutlich, dass der Kampfstoff im Krieg eine nicht zu unterschätzende Rückkopplung mit den Staats- und Militärapparaten der ihn einsetzenden Konfliktparteien schafft.
Deutlich erklärt der Autor z.B. den Aufstieg der chemischen Industrie in Deutschland, die durch die Notwendigkeit neuer Kriegswaffen das militärische und zivile Leben nachträglich verändern sollte. Er zeigt die Zwiespältigkeit bedeutender Chemiker, deren Entdeckungen ihnen einerseits Nobelpreise, andererseits eine Teilschuld am Tod von Millionen Soldaten eingebracht haben. Dabei bleibt sein Ton meist so sachlich, dass man z.B. die Studien Heinrich Wielands, Walther Hermann Nernsts oder Adolf von Baeyers würdigen, den Einsatz der Früchte ihrer Arbeit jedoch zutiefst ächten muss.
„Chemische Kampfstoffe“ bietet eine Fülle an Hintergrundwissen. Man muss kein Naturwissenschaftler sein, um den Ausführungen Gartz‘ zu folgen. Stellenweise wünscht man sich eine noch detaillierte Ausführung, die vom Autor, der selbst im Bereich der Toxikologie tätig war, scheinbar als redundant gesehen wird. Dennoch schlägt Gartz‘ Werk die Brücke zwischen Front und Etappe und hilft so, einen vielschichtigen Blick auf den Kriegsverlauf zu führen, sei er in Europa, in Vietnam oder im Zuge des „neuzeitlichen Terrorismus“ geführt worden.